Planet Wissen (PW): Frau Weiser, was unterscheidet die erotische Tantramassage von Sex?
Martina Weiser (M.W.): Für jemanden, der sich massieren lassen will, ist das auf den ersten Blick schwer zu erkennen. Wenn Sie "Tantra" googeln, dann liefert die Suchmaschine zum Teil haarsträubende Ergebnisse. Als wir 1997 in Köln eröffnet haben, gab es oft Missverständnisse. Tantra war in Deutschland noch recht unbekannt. In den Köpfen der Menschen gab es bloß die medizinische Massage mit weißem Kittel und Tabuzone - und es gab den Puff mit der Erotikmassage. Die Nische dazwischen haben wir mit Tantra abgedeckt.
In der 5000 Jahre alten indischen Tantraphilosophie wird die sexuelle Energie als Lebensprinzip verehrt - das hat nichts mit Prostitution zu tun. Der Begriff "Tantramassage" ist leider nicht geschützt. Da tummeln sich viele Leute mit wenig Ahnung oder falschen Vorstellungen.
Darum haben wir 2004 den Tantramassage-Verband gegründet. Wir setzen uns für eine zertifizierte Ausbildung ein und überprüfen die Masseure und Masseurinnen regelmäßig, die über uns organisiert sind. Wir sprechen uns für eine Massage aus, die ohne sexuelle Absichten den ganzen Körper berührt, dazu gehört auch der Intimbereich. In diesem steckt so viel Empfindung und Energie - warum sollte er nicht angefasst werden?
PW: Wie läuft eine Tantramassage ab?
M.W.: Zunächst gibt es ein ausführliches Vorgespräch. Der Gast duscht und zieht einen Kimono an. Die Massagen dauern mindestens anderthalb Stunden. Wir starten mit einem Begrüßungsritual. Die Masseurin oder der Masseur entkleidet zunächst den Gast und anschließend sich selbst. Die Nacktheit in der Tantramassage wird oft missverstanden.
Die Idee dahinter ist, dass man mit der Kleidung den Alltag und den Status ablegt, sich sozusagen entpersönlicht. Ganz wichtig sind dabei die festgeschriebenen Rollen: Nur die Masseurin oder der Masseur berühren, der Gast empfängt die Massage ohne selbst aktiv zu sein.
Wir beginnen mit den Händen und Füßen, also Körperteilen, die weniger intim sind. Dann geht es weiter mit der Körperrückseite. Der Masseur oder die Masseurin erhöht langsam den Grad der Intimität. Er oder sie erarbeitet sich das Vertrauen, auch intimere Stellen massieren zu dürfen. Es passiert nur das, wozu der Empfänger bereit ist. Die meisten haben einen großen Hunger nach tiefer Berührung und lassen sich am ganzen Körper massieren.
PW: Wie weit geht die Tantramassage?
M.W.: Wir unterscheiden die Massage für den Mann und für die Frau, die Lingam- und die Yonimassage. Lingam ist im Altindischen das Wort für das Geschlechtsteil des Mannes und Yoni für das der Frau. Es gibt in der Tantramassage ein festes Repertoire an Griffen für den Intimbereich. Vor allem bei den Frauen fragen wir sehr genau nach, ob es für sie in Ordnung ist, im Intimbereich zu massieren.
Ein Grundprinzip von uns ist: Nichts ist vorgegeben. Es geht allein um den Empfänger. Man muss niemandem etwas beweisen, man muss niemandem gefallen, es muss sich für die Person, die massiert wird, gut anfühlen, sonst nichts.
Seit einigen Jahren bieten wir als Teil der Tantramassage die Prostatamassage an. Die Prostata liegt im Analbereich des Mannes, da denken viele zunächst: Wenn es unbedingt sein muss bei einer ärztlichen Untersuchung, ansonsten lieber nicht! Die Prostata ist allerdings ein spannender Punkt, vergleichbar mit dem G-Punkt der Frau. Die meisten Männer, die das einmal erfahren haben, wollen die Massage wiederholen.
PW: Herr Jan Wefers, Sie haben eben Ihre erste Tantramassage erhalten. Wie fanden Sie es?
Jan Wefers (J.W.)*: Für mich war das eine wunderbare Erfahrung. Ich konnte mich ganz fallen lassen. Es ist wie ein Kurzurlaub in anderthalb Stunden.
PW: Die Massage kostet auch fast so viel wie ein Wochenendtrip.
J.W.: Ja, aber sie setzt so viel Positives frei, dass man auch weit über die Massagezeit hinaus Energie und Emotionen mitnimmt.
PW: Waren Sie nicht scheu oder peinlich berührt?
J.W.: Ich musste mich schon darauf einlassen, es ist schließlich keine einfache Massage. Die Energie, die da aufkommt, kann einen überwältigen. Das muss man erstmal zulassen. Aber die Räumlichkeiten, die Wärme und das Empfangsritual haben dazu beigetragen, dass ich mich geborgen fühlte. Die Anspannung verflog und ich konnte lockerlassen.
PW: Und wie haben Sie die Massage empfunden?
J.W.: Die Massage hat Energien freigesetzt, die in mir schlummerten. Ich fühle mich gerade so geladen, glühend, vibrierend und strahlend vor innerer Freude. Und letztlich hat die Massage ausgleichend und regulierend auf mich gewirkt.
PW: Sie sind selbst Physiotherapeut. Wie beurteilen Sie die Massage unter fachlichen Gesichtspunkten?
J.W.: Die sanften Berührungen sorgen dafür, dass die Muskeln lockerer werden und der Kopf vegetativ entspannt. Es ist natürlich keine Physiotherapie, eher Wellness. Wer sich darauf einlässt, kann durch Tantra vermutlich viel über sich lernen.
M.W.: Was wir machen, ist Wellness. Die meisten kommen zu uns, weil sie sich hier gut entspannen können. Sie wollen genießen.
PW: Frau Weiser, wer kommt zu Ihnen, um sich massieren zu lassen?
M.W.: Die Kundschaft ist bunt gemischt. Unter unseren Gästen sind Manager, die viel unterwegs sind und Stress im Beruf haben. Sie möchten sich zwischen zwei Terminen entspannen. Es kommen Frauen und Paare ab Mitte 40. Viele Menschen in diesem Alter wollen sich selbst ergründen, ihre Wahrnehmung erweitern und vertiefen.
Andere Gäste fühlen sich in ihrer Sexualität unsicher: Männer, die Erektionsschwierigkeiten haben. Frauen, die nicht wissen, wo ihr G-Punkt ist, oder ob sie je einen Orgasmus hatten. Viele Menschen schämen sich, über intime Themen zu sprechen - doch bei uns können sie darüber sprechen.
PW: Kommen mehr Frauen oder Männer?
M.W.: Die Mehrzahl der Klienten sind Männer. Wenn Paare zu uns kommen, geschieht das meist auf Initiative der Frau. Es bringen auch manchmal Männer, die schon häufiger bei uns waren, ihre Frauen mit. Oft werden wir dann darum gebeten, so zu tun, als ob der Mann noch nie bei uns war. Die Sorge ist groß, dass die Partnerin nicht damit einverstanden ist.
PW: Wirkt eine Tantramassage therapeutisch auf die Psyche?
M.W.: Wir sind nicht dazu ausgebildet, Menschen mit psychischen Problemen zu behandeln. In Deutschland ist das sehr klar geregelt. Ich würde eher von Coaching sprechen: Wir führen die Menschen und zeigen ihnen, wie sie den eigenen Körper besser kennenlernen können. Und das verändert die Menschen: Sie gehen anders durch die Welt, wenn sie sich in ihrem Körper richtig zu Hause fühlen.
*Name von der Redaktion geändert.
Das Interview führte die WDR Redakteurin Barbara Garde
(Stand vom 20.02.2012)